Donnerstag, 30. August 2012

Urban Gardening: Wie du säst, so wirst du ernten

Vom Glück, ein Feld zu bestellen und reiche Ernte einzubringen: ein Erfahrungsbericht von Nikolai Hoffmann


„Wär es nicht schön, ein eigenes Feld zu haben, eigenes Gemüse anzubauen und zu ernten?“ fragte meine Liebste. 

Die Vorstellung, mit bloßen Händen in Erde zu wühlen, Ungeziefer aufzusammeln, bei Wind und Regen über einen lehmigen Acker zu stapfen, um die Kochtöpfe zu füllen, anstatt in einem Geschäft das nötige Gemüse zu besorgen, ließ mich zweifeln. Sie beharrte darauf, erst einmal mit der Krautgärtnerei zu beginnen, und reservierte kurzerhand ein Stück Feld im Osten Münchens für uns.

Schon an unserem ersten Nachmittag auf unserer „Scholle“


verschwendete ich keinen Gedanken mehr an die Widrigkeiten der Krautgärtnerei, grub um, harkte, jätete und pflanzte, bis es dunkel wurde. Viereinhalb Jahre sind seither vergangen, in denen wir von Ende Mai bis Oktober Radieschen, etliche Sorten Salat, Rettich, Spinat und Kohlrabi, Zuckerschoten, Strauch- und Stangenbohnen, Rote Beete, Zwiebeln, Gurken, Mangold, Zucchini, Kartoffeln, Mais, Kürbisse und, und, und nach Hause tragen.

Wir kommen aber nicht nur in den Genuss von Feldfrüchten, die besonders saftig und festfleischig sind, weil sie nicht im Lkw durchs Land oder gar über Kontinente hinweg reisen mussten und in finsteren Kühlräumen ihrem Verkauf weiß Gott wie lange entgegensahen, die kräftig schmecken und deren Aromen vielfältig sind. Weil auf unserem Feld vorbehandeltes Saatgut, Kunstdünger und Pflanzen– und Insektengifte verboten sind, ernähren wir uns nicht nur biologisch, wir erhalten unsere Umwelt, tun weder dem Boden noch dem Wasser Gewalt an. Und entsprechend lebendig geht es auf unserem Acker zu: Würmer durchgraben die Erde, fressen faulende Pflanzenreste und scheiden Nährstoffe aus; fällt häufiger Regen, nehmen die Blattläuse zu, doch ebenso bevölkern nach Kurzem Schwärme von Marienkäfern Brokkoli und Mangold, die Läuse zu verspeisen. Vor zwei Jahren taten sich Feldhasen an unseren Kohlrabisetzlingen gütlich, in diesem Sommer finden unter dem Karottenkraut etliche Frösche ein Zuhause. Raupen, Käfer, Ameisen, sogar Libellen und Schnecken verschiedenster Art, Kohlweißling und Bläuling leisten uns Gesellschaft. Sie alle kommen zu ihrem Recht und werden ebenso wenig durch Pestizide (von lat. pestis = Geißel, Seuche und lat. caedere = töten) vertilgt wie das sogenannte Unkraut. Der Name wird ihm nicht gerecht, das lehrt einen Krautgärtner nach und nach die Erfahrung. Zwar ist es nötig, etwa Quecke und wilde Rauke ausreichend zu jäten, so dass sie die Setzlinge von Salat, Mairüben oder den angesäten Spinat nicht überwuchern und ihr Gedeihen verhindern. Doch etwas Beikraut bewahrt den Boden vor dem Austrocknen, und gleichmäßig bewachsene Erde bleibt locker, und Wind und schwerer Regen können ihr nicht zusetzen. Manches Kraut bereichert auch unsere Rezepte: Rauke und Löwenzahn wandern in die Salatschüssel oder würzen einen Kräuterquark, Breitwegerich und echte Kamille werden als Tee genossen.

Ein Feld zu beackern, mitzuerleben, wie manches sprießt, wächst und reift, anderes trotz großer Mühe verkümmert, lässt einen bald begreifen, wie eng in der Natur alles Werden und Vergehen miteinander verwoben ist. Seit vier Jahren freue ich mich auch im Sommer, wenn ergiebiger Regen fällt, und leide, wenn er ausbleibt, ängstige mich vor Hagel. Wir haben gelernt, dass der Boden es nicht verträgt, wenn wir ihn zu tief umgraben, haben erfahren, dass nichts wächst, wenn die Zeit nicht reif dafür ist, wenn Wasser, Licht und Erde den Samen nicht zum Keimen bringen. Es gibt gute Jahre und solche, die Geduld und Demut vor der Natur und ihrer scheinbaren Willkür erfordern. Zu guter Letzt aber, nachdem wir bei der Arbeit mit Schaufel, Harke, und Kanne Gelassenheit und Seelenruhe wiedergefunden und das Vergnügen genossen haben, Selbstgeerntetes zu kochen, war und ist unser Tisch noch jedes Mal reich gedeckt.


Zahlreiche Links zum Thema „Urban Gardening“ finden Sie unter:

Infos und Links zur Urban-Gardening-Bewegung in Berlin:

Infos und Links zu Urban Gardening in Köln:



Haben Sie Fragen oder Kommentare?
Bitte schreiben Sie uns ins das Kommentarfeld unten -
Nikolai Hoffmann / gluten appetit beantwortet gerne Ihre Fragen.



Autor:Nikolai Hoffmann

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen